Eine Selbstverteidigungssituation geht meistens sehr, sehr schnell und Du hast wenig Zeit zu überlegen um daraus die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Alle Fragen, die Du im Vorfeld für Dich geklärt hast, musst Du im Ernstfall nicht mehr für Dich klären.



Für welche Werte bist Du bereit zu kämpfen?

(Auszug aus dem Buch "Taktische Deeskalation - Die Kunst nicht zu kämpfen!" von Sigung Markus Hering)

Eine Selbstverteidigungssituation geht meistens sehr, sehr schnell und Du hast wenig Zeit zu überlegen um daraus die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Alle Fragen, die Du im Vorfeld für Dich geklärt hast, musst Du im Ernstfall nicht mehr für Dich klären.

Dazu gehört auch ganz klar die Frage: Wofür bist Du bereit, zu kämpfen?

Stelle Dir diese Frage vor dem Hintergrund aller Dinge, die Du bisher in diesem Buch erfahren hast.

Eine körperliche Auseinandersetzung - ein Kampf - ist viel mehr als nur der Kampf selbst.

Jeder Kampf birgt das Risiko, zu sterben.

Jeder Kampf birgt das Risiko, das Leben eines anderen zu nehmen. Denke nur an das Beispiel zu Beginn dieses Buches - der Mann, der von einem einzigen Faustschlag eine tödliche Verletzung davongetragen hat. Ein Familienvater, ein Ehemann.

Jeder Kampf kann Dich rechtlich, beruflich, gesellschaftlich, körperlich und auch geistig gefährden.

All diese Risiken, die Du jetzt kennst, stehen im Raum.

Stell Dir diese Frage unbedingt jetzt, im Vorfeld. Nicht, dass Du diese Frage im Ernstfall entscheiden musst:

Für welche Werte bist Du bereit, zu kämpfen? Bereit, im allerschlimmsten Fall Leben zu nehmen oder zu sterben?

Ja, Du hast das Recht, an einem Ort Deiner Wahl zu bleiben. Das ist Dein gutes Recht in unserem freien Land. 

Nun ist diese Bar aber bevölkert von Menschen, die nichts Gutes verheißen. Ist Dir Dein verbrieftes Recht, an diesem Ort zu sein, so viel wert, dass Du dafür kämpfst?

Natürlich darf Dich niemand beleidigen! Und dass dieser Kerl, der plötzlich mit seinen zwei Freunden vor Dir steht und Dich „Hurensohn“ nennt, damit im Unrecht ist, ist auch klar. Er hat Deine Ehre beleidigt! Aber ist Deine Ehre Dir wirklich so viel wert, dass Du all die Risiken dafür in Kauf nimmst? Dass Du um Dein Leben kämpfst?

(Ein kleiner Spoiler: Er hat nicht Deine Ehre beleidigt! Dazu aber in dem späteren Kapitel „Das Ego“)mehr.)

Du gehst mit Deiner Freundin eine Straße entlang.

Es ist dunkel. Ihr hattet einen schönen Abend und ihr wollt den Heimweg antreten. Wie aus dem Nichts findest Du Dich von drei aggressiven Typen umstellt. Alle Fluchtmöglichkeiten sind blockiert. Das Leben und die Gesundheit Deiner Freundin und von Dir sind bedroht.

Spannend, oder? 

Wenn Du Dir im Vorfeld schon darüber bewusst bist, für welche Werte Du eintrittst, ist Deine Entscheidungskette im Ernstfall schon sehr viel kürzer.

Achtung:

Du hast für Dich entschieden, dass z.B. eine Beleidigung, wie „Hurensohn“ kein Grund ist, Deine Gesundheit und Deine Freiheit zu gefährden.

Der Angreifer merkt, dass er Dich so nicht provozieren und zu einer Angriffshandlung reizen kann und will einen Schritt weiter, in den körperlichen Angriff, gehen. Er holt aus und will zuschlagen.

Nun wird nicht mehr Dein Wert „Ehre“ angegriffen, sondern Dein Wert „Gesundheit/Leben“. Das erfordert natürlich eine ganz andere Behandlung.

Du musst den Wechsel der Situationen blitzschnell erfassen, einordnen und zwischen den Maßnahmen switchen können!

Die Mind Games sind auch hier ein hervorragendes Tool, um Dich in solchen veränderten Gegebenheiten zurechtzufinden.

Ich habe Dir hier ein paar Werte zusammengetragen, die sich in viele Szenarien einbauen lassen. Denke bitte darüber nach und - sei kreativ:

Liebe - Sicherheit - Toleranz - Macht - sinnliche Befriedigung - Gerechtigkeit - Selbstbestimmung - Treue - Frieden - Wohlstand - Freiheit - Ordnung - Ehre - Stolz - Glück - Authentizität - Freude - Energie

Das sind nur wenige von vielen Werten. Bestimmt gibt es Werte, die für Dich wichtig sind und die hier nicht aufgeführt sind.

Lukas

In meinen Schulen gehen wir regelmäßig auf das Thema „Taktische Deeskalation“ ein.

Vor einiger Zeit hörte Lukas, ein neuer Schüler, der erst seit wenigen Wochen in meiner Schule in Ingelheim dabei war, zum ersten Mal unser Thema: „Was ist Dir wert, dafür zu kämpfen?“. 

Alle unsere wichtigen Themen wiederholen wir in regelmäßigen Abständen und gestalten die Unterrichtsgespräche so, dass jeder seine Fragen und Erfahrungen mit einfließen lassen kann. So bleibt es immer lebendig und richtet sich immer nach den Bedürfnissen der Anwesenden.

Der Unterrichtsabend war vorbei, ich ließ alles noch einmal Revue passieren und plante schon den Unterrichtsabend in der nächsten Stadt am folgenden Tag. Keine besonderen Vorkommnisse also.

Als ich eine Woche später wieder in Ingelheim in der Schule war, kam Lukas auf mich zu. Er wollte mir unbedingt erzählen, was ihm am Wochenende widerfahren ist.

Er machte einen aufgeregten, fast schon freudigen Eindruck und ich war ganz gespannt zu hören, was geschehen war.

Lukas war am Wochenende mit Freunden in einem Club unterwegs. Zu späterer Stunde kam ein Betrunkener auf ihn zu und schüttete (wohl mit Absicht) sein Getränk über Lukas.

„Normalerweise wäre ich ausgerastet - ich meine, was soll das? Ich habe mit dem überhaupt nichts zu tun gehabt, da kommt der einfach auf mich zu und schüttet mir seinen Drink über? War zum Glück nicht viel, aber trotzdem…!“

Seine normale Reaktion wäre jetzt gewesen, ihn wütend mit zwei Händen wegzustoßen. Daraus hätte sich ein Handgemenge ergeben.

Er hatte sich aber zum Glück an unsere letzte Trainingseinheit erinnert. Was sind die möglichen Folgen einer Schlägerei? Und was ist es wirklich wert, dafür zu kämpfen? Lukas kam blitzschnell zu dem Schluss, dass ein verschütteter Drink es nicht wert ist, die möglichen Folgen wie Anklage wegen Körperverletzung, Schmerzensgeld, etc… zu riskieren.

Allein diese Erkenntnis hatte in ihm ein Gefühl der Befreiung ausgelöst, von dem er immer noch ganz beseelt war. Er hatte seine üblichen Automatismen unterbrochen und sich dem „Zwang“ widersetzt, etwas zu tun, von dem er dachte, dass man es von ihm erwartete.

Lukas hatte an diesem Abend ein neues Ziel erreicht: Sich davon zu befreien und völlig objektiv für sich selbst und zu seinem Besten zu entscheiden.